Schon seit längerer Zeit werden Unterrichtsansätze diskutiert, die unter Etiketten wie “schüleraktivierend”, “selbstbestimmtes / selbstorganisiertes / selbstständiges Lernen” und ähnlichen Bezeichnungen einen höheren Grad an Selbständigkeit und Eigenverantwortung des Lerners anstreben. Zu diesen Modellen gehören Modelle wie “Lernen durch Lehren” (LdL) und – ganz aktuell – das Konzept des “flipped classroom“.
Nun muss ich durchaus zugeben, dass mir – so interessant und einleuchtend ich die prinzipiellen Ansätze auch finde – als vorwiegend in der gymnasialen Oberstufe (mithin oft sehr stoffzentriert) unterrichtendem Pauker allzu oft ein wenig Fantasie und Mut fehlen, solche Konzepte wirklich überzeugend auf meinen Unterrichtsalltag zu übertragen. Vor allem unterrichtsorganisatorisch und zeitplanerisch gesehen tun sich da doch erhebliche Hürden auf. Diese mögen zumindest zum Teil imaginär und überwindbar sein – dennoch…
Da mir Moodle auch in der Vergangenheit geholfen hat, eine allzu starke latente Lehrer-Orientierung im Unterricht zu Gunsten einer stärkeren Schülerorientierung, Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Lerner aufzubrechen, lag es nahe, entsprechende Szenarien bei passender Gelegenheit zu testen. Der eigenen Unterrichtssituation kamen da an LdL orientierte Überlegungen am ehesten nahe. Erste, sehr zaghafte Versuche in dieser Richtung gab es bereits vor einigen Jahren: In einem umfangreichen Kurs zu Macbeth haben Schüler per Rollenüberschreibung die Möglichkeit bekommen, Forenbeiträge ihrer Mitschüler zu bewerten.
Seitdem war klar, dass sich mit den Möglichkeiten zur Rollenüberschreibung erheblich mehr bewegen lassen sollte als die Zuweisung von Bewertungsrechten.
Vielleicht eine kurze Erläuterung zur Rollenüberschreibung: Moodle kennt standardmäßig unterschiedliche Rollen wie Administrator, Trainer, Teilnehmer, Gast usw. Diese Rollen haben sehr genau definierte Rechte im jeweiligen Kontext (global, Kurs, auf einzelne Aktivitäten bezogen). Sofern in der jeweiligen Moodleinstanz administrativ vorgesehen, können diese Rollen angepasst werden, indem einzelne Rechte entfernt oder aber zusätzlich freigeschaltet werden. Auf diese Weise kann, wie eben im Macbeth-Beispiel angerissen, der Teilnehmer für ein bestimmtes Forum das Recht erhalten, Beiträge zu bewerten, was standardmäßig dem Trainer vorbehalten wäre.
Für einen LdL-Ansatz ergeben sich aus dieser Funktion recht interessante Möglichkeiten, Lerner zumindest partiell zu Lehrenden zu machen. Diese Möglichkeiten teste ich gerade in einem Unterrichtsprojekt im Medienkunde-Unterricht der Klassenstufe 9. Dort beschäftigen wir uns derzeit mit einem Themenblock zu Gedodaten / Georeferenzierung. Die Schüler sollen ganz unterschiedliche Anwendungsgebiete, Hintergründe und Problemfelder von ortsbezogenen Daten untersuchen und kennenlernen. Dafür ist ein Moodle-Kurs angelegt worden, der zunächst nur aus einem Forum und einem Wiki bestand. Im Forum diskutierten die Schüler nach einigen Lehrerimpulsen die Problemfelder, in denen sie am ehesten ein Erkenntnisinteresse für sich sahen. Ergänzt um einige Vorgaben des Lehrers, die m.E. zwingend nötig zum Verständnis der Einzelthemen sind (zB Koordinatensysteme, Projektionsmethoden usw.), stand damit ein Pool von ca. 12 Einzelthemen von GPS über Augmented Reality bis hin zum Geocaching zur Bearbeitung. Dieser Pool ist in Mini-Arbeitsgruppen (in der Regel 2 Schüler) zu bearbeiten, Leitfragen helfen bei der Strukturierung. Die anfängliche Recherche wird über ein Wiki begleitet, dort legen die Schüler ihre Rechercheergebnisse und Quellen ab. Parallel dazu haben sie in einem Kursglossar Fachtermini zu sammeln und zu definieren.
Das letztliche Ziel der Gruppenarbeit soll es sein, Materialien und Interaktionen zum jeweiligen Unterthema so aufzubereiten, dass die Mitschüler sich das Wesentliche zu jedem Thema selbstständig aneignen können. Dazu bekommt jedes Team einen eigenen Themenblock im Moodle-Kurs zugewiesen. Genau an dieser Stelle kommt die Rollenüberschreibung zum Einsatz: Auf Kursebene bekommen die Teilnehmer eine Auswahl von Trainerrechten zugewiesen, die es ihnen ermöglicht, Arbeitsmaterialien, Aktivitäten und Testfragen zu erstellen und verfügbar zu machen. Das betrifft im Einzelnen folgende Rechte:
- Aktivitäten verwalten
- Dateien verwalten
- Neue Fragen hinzufügen
- Meine eigenen Fragen bearbeiten
- Fragenkategorien verwalten
- Meine eigenen Fragen verschieben
- Meine eigenen Fragen verwenden
- Meine eigenen Fragen anzeigen
- Tests ausprobieren
- Tests verwalten
Mit diesem Satz an Rechten ist das Erstellen eines eigenen Themenblocks einschließlich eines kleinen Tests möglich, die Schüler erhielten eine Einweisung in die Erstellung der Inhalte und strukturierende Vorgaben (Mindestanzahl an Materialien, Umfang des Mini-Tests, Ausschluss von bloßem Copy & Paste etc). Da die Rechteüberschreibung auf den Kurskontext bezogen ist und die Schüler absichtlich oder unabsichtlich auch in “fremden” Themenblöcken editieren könnten, wurde bei der Einweisung großer Wert darauf gelegt, dass sich die Teams nur in ihren jeweiligen Themenblöcken austoben. Etwaigem Vandalismus wurde vorgebeugt, indem noch einmal die Berichtsfunktion von Moodle demonstriert wurde.
Das Verfahren der Rollenüberschreibung ist hier kurz erläutert:
Bislang zeigt sich, dass die weitaus meisten Schüler sehr intensiv und motiviert an ihren Themen arbeiten, in der Regel identifizieren sie sich recht stark mit ihrem Bereich und legen einigen Ehrgeiz in die Aufbereitung der Informationen.
Sobald die Themenblöcke fertiggestellt sind, bekommen die Schüler wieder ihre alte Teilnehmerrolle zurück, sie werden sich dann weitgehend selbständig durch die Blöcke arbeiten. Dabei stehen ihnen die jeweiligen Autoren natürlich auch als “Experten” zur Verfügung, das kann je nach Entscheidung der Autoren face-to face oder über ein Forum realisiert werden. Zum Abschluss wird es einen Test geben, der sich zumindest zum Teil aus dem Fragenpool speist, den die Schüler selbst erstellt haben.
Der eigentliche Abschluss der Einheit wird jedoch das arbeitsteilige Legen und Suchen von Geocaches sein, hier wird das Gelernte praktisch anwendbar: ganz jenseits von Moodle 🙂
Basierend auf den bisherigen Erfahrungen haben wir für das Jenaer SchulMoodle eine globale Rolle “LdL-Teilnehmer” angelegt, so dass Kurstrainer mit dem beschriebenen Ansatz arbeiten können, ohne selbst die Rollenüberschreibung vornehmen zu müssen. Dazu wird es eine gründliche Einweisung unserer Trainer geben. Eine kurze Demonstation des Anlegens einer neuen Rolle findet sich in einem entsprechenden Videotutorial.
Weiterführende Informationen und alternative Ansätze gibt es in einem entsprechenden Diskussionsstrang der deutschsprachigen Foren bei moodle.org. Für die Münsteraner MoodleMoot im März 2012 ist ein Vortrag zu just diesem Thema angekündigt, auf den ich sehr gespannt bin (leider ist die Themendatenbank des Call for Papers derzeit nicht öffentlich einsehbar).
Was meint Ihr zu diesem Ansatz? Gibt es ähnliche Überlegungen und Erfahrungen anderswo?
Leave a Reply