Da war es mal wieder so weit: Im Englischunterricht hatten meine Schüler innerhalb der Einheit “Science and Technology” eine Mediationsübung zu absolvieren. Es ging um eine zusammenfassende und sinngemäße Übertragung eines deutschen Textes ins Englische. Zur Auswahl standen zwei Beiträge von heute.de – einer zur hormonellen Verhütung beim Mann und einer zu Stammzelltherapien bei Knochenbrüchen.
Die Schüler arbeiteten am Computer und konnten alle Netzhilfsmittel benutzen, mit Wörterbucharbeit waren sie vertraut. Es kam (wie so oft), wie es kommen musste: besonders schwächere Schüler verließen sich fast blind auf zweisprachige Wörterbücher wie leo oder dict.cc und Online-Übersetzer wie Google Translate. Ergebnis: Stilistisch und lexikalisch weitgehend inkohärente Texte, falsche Kollokationen etc – das volle Programm. Zum Haareraufen! Was soll man da tun – ich glaubte doch, die Vor- und Nachteile diverser Wörterbuchangebote hinlänglich thematisiert zu haben?
Bei aller Verzweiflung kommt natürlich zunächst eimal Verständnis für die Strategiewahl der Schüler auf – wenn man wiederholt die Erfahrung eigenen sprachlichen Ungenügens gemacht hat, ist die Verlockung groß, Angebote zu nutzen, deren Gebrauch ihnen außerhalb der Schule ohnehin selbstverständlich ist. Von daher wäre ein Verbot der Nutzung dieser Dienste wenig sinnvoll. Es kann – zumal in der Oberstufe – eigentlich nur darum gehen, Möglichkeiten und Grenzen dieser Dienste aufzuzeigen sowie Kompetenzen im Umgang mit den Werkzeugen zu entwickeln. Schon klar – bloß, wie genau macht man das?
Die endgültige Lösung hab ich natürlich nicht gefunden – aber vielleicht gangbare Wege. Die möcht ich hier kurz vorstellen – und es wäre mir sehr lieb, von anderen Erfahrungen im Unterricht zu hören.
Aufschlussreich kann die Auseinandersetzung mit Übersetzungsdiensten wie Google Translate sein. Aufschlussreich auch deshalb, weil man – selbst wenn man von der prinzipiellen Unmöglichkeit adäquater maschineller Übersetzung überzeugt ist – dennoch zugeben muss, dass der Dienst in Teilbereichen erstaunlich leistungsfähig ist. Nehmen wir ein Beispiel aus dem oben erwähnten Stammzellen-Text: Aus Forscher der Hebräischen Uni Jerusalem haben ein revolutionäres Verfahren erfolgreich getestet: Mit körpereigenen Stammzellen wollen sie sogar Bandscheiben und Herzmuskeln behandeln. wird Researchers at the Hebrew University of Jerusalem have successfully tested a revolutionary technique: With the body’s own stem cells, they even want to treat spine and heart muscles. Mit Verlaub – das ist (bis auf die Bandscheiben – spine-Geschichte) gar nicht übel. Ich war schon beeindruckt, muss ich sagen…
Das grundlegende Problem, das selbst bei solch guten Ergebnissen Schülern nahegebracht werden sollte, ist folgendes: Um einschätzen zu können, von welcher Qualität eine Maschinenübersetzung ist und wo fast zwangsläufig Fehler auftauchen, brauche ich eine ziemlich hohe Kompetenz in der Zielsprache. Daraus ergibt sich – genau wie bei der Arbeit mit (zweisprachigen, nutzergenerierten) Online-Wörterbüchern ein paradoxes Problem: Es greifen vor allem Schüler zu den Hilfsmitteln, denen es gerade an der für eine kritische Einschätzung der Ergebnisse nötigen Kompetenz noch mangelt, zu den Hilfsmitteln – aus der Angst vor eigenen Fehlleistungen produziert man Verschlimmbesserungen, die auf dem entsprechenden Sprachniveau nicht ohne weiteres auflösbar sind. Es muss also verdeutlicht werden, dass maschinelle Übersetzung durchaus erstaunlich hilfreich sein kann, wenn man sich selbst einen Überblick über den Gehalt fremdsprachiger Texte verschaffen will, dass sie aber an natürliche Grenzen stößt, wenn man sie zur Produktion fremdsprachiger Texte mißgebraucht.
Recht gut – und nicht humorfrei – lässt sich das auf zwei Wegen demonstrieren: Nett ist das maschinelle Übersetzen von typischen Kollokationen und idiomatischen Wendungen. Vorbild können da die sattsam bekannten Filser-Briefe nach dem Prinzip “Your true Gisela” sein, oder die ganz ähnlich gelagerten Stilblüten aus den inzwischen leider vergriffenen “English for Runaways”-Bänden. Ein Versuch: “Ich denk, mein Schwein pfeift” wird natürlich wortwörtlich übersetzt zu “I think, my pig whistles.”. “Du bist schwer auf Draht.” wird zu “You are pre-cabled.” Man kann Schüler jetzt nach Herzenslust ähnlich umgangssprachliche Idiome übersetzen lassen und wird schnell nachweisen können, dass idiomatische Wendungen meist nicht korrekt übersetzt werden können.
In einem nächsten Schritt – der bietet dann den Anknüpfungspunkt zur Auseinandersetzung mit zweisprachigen Online-Wörterbüchern – kann man sich dem Problem von Konnotationen und Kollokationen uwenden. Ein gutes Beispiel wäre der Gebrauch von “lassen”. “Er lässt sein Auto waschen.” wird zu “He can wash his car.”. Die eigentlich angemessene englische Variante ” He has his car washed.” wird zu “Er hat sein Auto gewaschen.”
Um die Sache abzurunden – und um erfahrbar zu machen, dass Übersetzung nie eine 1:1-Angelegenheit sein kann, mit der Computeralgorhitmen gut umgehen können, bietet sich ein Versuch an, denselben Satz mehrfach hin und her zu übersetzen. Ein Satz aus dem heute-Artikel wie “Ich hinke zwar noch ein bisschen, aber drei Monate nach meinem Unfall kann ich wieder gehen, Dinge tragen, und meine Kinder aufheben.” wird zu “Although I still pick up a bit lame, but three months after my accident, I can walk again, take things, and my children”. Dieser Satz rückübersetzt heißt dann “Obwohl ich immer noch pick up a bit lahm, aber drei Monate nach meinem Unfall, kann ich wieder gehen, nehmen die Dinge, und meine Kinder.”
Auf diese Weise sollten sich – fast spielerisch – die Potenzen und Grenzen maschineller Übersetzung erfahrbar machen lassen.
In einem nächsten Schritt kann man die so fassbar gemachten Probleme auf zweisprachige Online-Wörterbücher herunterbrechen. Dabei bin ich im Wesentlichen den Vorschlägen von Jochen Lüders in einem seiner sehr hilfreichen Blogartikel gefolgt – das Verb “lassen” in unterschiedlichen Kolokationen und Bedeutungsvarianten macht sich dabei sehr gut – und der bei Jochen beschriebene double check mit dem LDOCE funktioniert hervorragend. Nicht versäumen sollte man dabei – auch darauf geht Jochen ein – auf die Vorzüge der nutzergenerierten Inhalte von Wörterbüchern wie leo hinzuweisen – besonders die Forenanfragen und -diskussionen zu einzelnen Einträgen können sich als wertvolle Informationsquellen erweisen.
Was hat die kleine Stoffeinheit gebracht? Hoffnung und Ernüchterung. Zwei Stunden später sehe ich die Schüler sowohl beim sorgfältigen Gegen-Check mit LDOCE als auch beim unbeschwerten Gebrauch des Google-Übersetzungsdienstes. Das kann ich jetzt – je nach Gustus – interpretieren als pädagogischen Erfolg oder als weiteres Indiz für die gelegentliche Vergeblichkeit meiner Arbeit…
Welche Erfahrungen habt Ihr mit den beschriebenen Problemen gemacht, welche Unterrichtsideen gibt es?
Lesenswert in diesem Zusammenhang ein kleinerArtikel in einem Übersetzerblog: Früher Filserbriefe, heute maschinelle Übersetzung. Enjoy 🙂
Ich bin Deutschlehrerin an einer französischen Gesamtschule (Unterstufe) und erkenne das von Ihnen beschriebene SchülerInnenverhalten nur zu gut. Ich möchte für EnglischlehrerInnen auf Dienste, wie linguee (http://www.linguee.com) verweisen, die das Kollokationsproblem zumindest in Ansätzen lösen helfen.
Mit der geschilderten Problematik bin ich auch in meinem Bereich als professioneller Übersetzer konfrontiert. Auch bei weniger kompetenten Übersetzern und solchen, die es werden wollen, fehlt vielfach das grundlegende Verständnis dafür, dass ein Ausdruck in einer Sprache einfach einem äußerlich ähnlichen 1:1 entspricht.
Eine Mitschuld an diesem Phänomen geben ich den fremdsprachigen Lehrbüchern, die Übersetzungen von Vokabeln einfach als Annäherungswert sehen und keinerlei Zusatzangaben zum Sprachgebrauch machen wie z.B. in den gedruckten Langenscheidt-Wörterbüchern. Damit verabsäumen sie, von allem Anfang an ein Problembewusstsein aufzubauen.
Mitschuld sind auch die schnellebigen Medien, wo bereits in der Muttersprache kaum mehr Wert auf gepflegte und korrekte Ausdrucksweise gelegt wird. Das ist auch der Boden, auf dem die überbordenden Anglizismen gedeihen. Wenn heute Medien und Polizei von DNA sprechen statt korrekterweise von DNS, haben das die Journalisten zu verantworten, die vor 10 Jahren über die neuen Genmethoden aus Amerika ohne terminologische Recherche schnell schnell berichtet haben.
Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, Schülern und Studenten ein aufwändigeres, sorgfältiges Arbeiten nahezubringen, wenn sie nicht, wie Übersetzer, beruflich dazu motiviert sind.
Das “Kontextwörterbuch” Linguee.de ist von Ansatz her interessant, die Umsetzung verkeht ihn aber wieder in sein Gegenteil. Es gibt keine Qualitätskontrolle. Miserable Übersetzungsversuche von Laien (selbstgebastelte mehrsprachige Homepages), annehmbare und gute Übersetzungen sind bunt durcheinandergewürfelt und wie bei den Maschinenübersetzungen ohne hohe Sprachkompetenz nicht auseinanderzuhalten. Einträge aus allen möglichen dubiosen Online-Wörterbüchern sind irreführenderweise als überprüft gekennzeichnet, womit eine Qualitätssicherung vorgetäuscht wird, die nicht existiert.
Der gravierendenste methodische Mangel besteht darin, dass Linguee nicht kennzeichnet, welche Sprache der Ausgangstext ist und welche die Übersetzung. Die Grundproblematik bleibt also auch hier auf Kontextebene erhalten.
Sebastian
Ein paar Bemerkungen:
Google Translate ist nur brauchbar, wenn man die Zielsprache nie gelernt hat und so sowieso nicht sehen würde, welcher Schwachsinn am Ende rauskommt.
Wörterbücher dagegen, besonders dict.cc, sind eine wirklich tolle Hilfe. Bei dict.cc ist es sogar so, dass für bestimmte Idiome Äquivalenten aus der Zielsprache angegeben werden.
Außerdem kann man immer urbandictionary.com nachschlagen, wenn man die Bedeutung bestimmter Ausdrücke oder Wörter nicht kennt. Allerdings gilt das bei urbandictionary wahrscheinlich nur für Internet memes und ähnliches, aber es gibt ja auch wiktionary.org
Danke für den aufschlussreichen Beitrag. Ich unterrichte Englisch an einer Berufsschule und auch hier sind die Schüler schnell beim Google Translator. In unseren Notebookklassen (jeder Schüler hat ein eigenes Notebook) stellen die Schüler z.T. sogar automatische Übesetzung aller Browserinhalte ein.
Darüber kann man verzweifelt sein – oder es als Lebensrealität ansehen, mit der man auch unterrichtlich umgehen muss. Eine gescheite Unterrichtssequenz ist mir dabei aber auch noch nicht eingefallen. Ich hatte mal die Idee, dass die Schüler mit zwei Laptops einen Dialog entwerfen müssen, der sinnstiftend ist und von den beiden Laptops über die “Anhören”-Funktion vorgetragen werden muss. Ob das funktionieren kann – keine Ahnung. Werde das Thema auf jeden Fall interessiert weiterverfolgen…