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O Tempora, O Mores – Ein Lamento

Es ist soweit – es muss mal von der Seele…

Je länger und je intensiver wir mit dem Support von internetbasierten Plattformen und dergleichen beschäftigt sind, desto häufiger stellen sich Erfahrungen ein, die zunehmend unangenehm werden und die Freude an dieser Arbeit erheblich verleiden können. Nein, es geht nicht um offensichtlich naive Anfragen – auch nicht um die hinter manchem Hilferuf stehenden Bequemlichkeit. Es geht um etwas, das bei unserer Zielgruppe – Lehrer oft reiferen Alters, immerhin mit akademischem Hintergrund – inzwischen in der elektronischen Kommunikation immer häufiger und offensichtlicher auftritt: der Verzicht auf auch nur grundlegende Höflichkeitsformen.

Typische Situationen (die ausschließlich männliche Form ist im Folgenden absichtlich gewählt – das entsprechende Verhalten ist beim weiblichen Geschlecht zwar nicht gänzlich unbekannt, aber doch erheblich seltener):

  • Ein Nutzer einer Plattform hat ein Problem, findet einen Fehler o.ä. und schreibt den Admins eine Nachricht. Kein Betreff, keine Anrede, keine sprachlich klare Darstellung des Anliegens, Satzfragmente, keine Grußformel am Schluss. Nix. Warum auch? Eine Kurz”kommunikation” im Imperativ tut es doch auch.
  • Ein Nutzer hat ein Anliegen, das auf der entsprechenden Plattform gleich auf der Startseite gut sichtbar erklärt und dokumentiert ist. FAQ oder ähnliche Angebote, in denen in der Regel viel Arbeit steckt, zur Kenntnis nehmen? Aber nicht doch…
  • Kollegen bitten um Support beim Aufbau bzw. Betrieb ihrer eigenen Angebote, um Fehlersuche und ähnliche Hilfestellungen. Lange Mails werden geschrieben, Zeit und Energie werden investiert. Eine Rückmeldung über Erfolg bzw. Mißerfolg der Bemühungen, ein Dankeschön gar? Fehlanzeige.
  • Im Rahmen größerer Projekte werden Kollegen aufgefordert, sich auf den Plattformen einzuarbeiten. Nicht immer geschieht dies ganz freiwillig. Aber deswegen die Auseinandersetzung mit den eigentlich Verantwortlichen suchen? Es ist doch viel einfacher, den Frust bei den Kollegen des Supports abzuladen.

Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Es ist eine gewisse Versuchung, Auszüge aus entsprechenden Mailwechseln hier zu zitieren – aber nicht jeder Versuchung muss man nachgeben.

Ärgerlich daran sind viele Dinge. Neben dem unangenehmen Gefühl, nicht mit einem üblichen Mindestmaß an Respekt behandelt zu werden, steht das Erstaunen darüber, dass dieses Verhalten in unserer Profession um sich greift. Kaum ein Kollege würde seinen Schülern dieses Verhalten durchgehen lassen, ein Elternschreiben im o.g. Stil stieße auch nicht gerade auf Gegenliebe. Sicher spricht aus dem einen oder anderen Vorkommnis dieser Art auch die in unserem Beruf nicht immer sehr ausgeprägte Fähigkeit, mit anderen gemeinsam und gleichberechtigt an der Lösung von Problemen zu arbeiten.

Erstaunlich auch, dass in einem auf Kommunikation ausgerichteten Beruf grundlegende Kommunikationsregeln schnell fahren gelassen werden, sobald man sich des vermeintlich anonymen Internets bedient. Bittere Ironie, dass in den vergangenen Jahren Lehrpläne und Handreichungen nur so strotzen mit Begriffen wie Selbst- und Sozialkompetenz…

Um nicht falsch verstanden zu werden: Die oben beschriebenen Verhaltensweisen sind zum Glück (noch?) nicht die Normalität – die weitaus meisten Nachrichten und Anfragen erreichen uns in sehr höflicher Form und mit einer kollegial-freundlichen Grundhaltung, auch das Danke-Sagen ist noch nicht aus der Mode. Die meisten Kontakte sind auch da erfreulich, wo es in der Sache Dissens gibt.

Dennoch scheint die rüdere Variante der Kommunikation um sich zu greifen.

Weitgehende Ratlosigkeit herrscht über die angemessene Reaktion auf dies Verhalten. Bislang hab ich mich bemüht, ausgesucht, ja übertrieben höflich zu antworten – aber damit baut man wohl entweder ein arrogantes Image auf – oder das Gegenüber versteht die darin liegende Ironie erst gar nicht. Und ein Blogbeitrag wie dieser bewirkt bestenfalls eine sehr kurz anhaltende Erleichterung 🙂

Auffällig ist, dass anderswo – besonders im angelsächsischen Umfeld – ein sehr viel höflicherer und respektvollerer Umgang auch bei elektronisch vermittelter Kommunikation usus ist. Ermutigend, dass es auch bei uns seit vielen Jahren sehr positive Beispiele gibt – meine Lieblingsmailliste enpaed etwa, oder die deutsche Supportforen bei moodle.org.

Welche Erfahrungen habt Ihr auf diesem Gebiet gemacht, wie geht Ihr damit um?

Ein paar Internetressourcen zum Thema:

Und damit dann Schluss mit dem Lamento. Soll nicht wieder vorkommen…

2 comments to O Tempora, O Mores – Ein Lamento

  • Meine Kollegen, und ich habe potentiell konfliktbeladenen Kontakt eigentlich nur zu diesen, sind alle noch in der Phase großer Höflichkeit. Mit mehr Vertrautheit mit dem Medium beginnen dann vielleicht Anrede und Schlussformel zu entfallen, aber noch sind wir nicht so weit. Ich kenne diese unmittelbaren, kurzen, manchmal bis auf den Anhang wortlosen Mails nur von Schülern, denen man erst einmal erklären muss, wie das auf einen Empfänger wirkt.
    Die Kollegen berate ich eher mündlich, und werde da selten – aber heute wieder – etwas barsch. RTFM, etwas höflicher formuliert.

  • Läuft bei mir ganz ähnlich. Das Ärgernis tritt auf, wenn die Kommunikation elektronisch läuft – und tendenziell häufiger, wenn man sich nicht von Angesicht zu Angesicht kennt. Verblüffend find ich halt den Einzug solch pennälerhaften Verhaltens bei *Kollegen*… Naja, ist halt eins dieser Dinge, die unter “fact of life” laufen. Und es ist fraglich, ob man selbst immer ganz frei davon ist… 🙂

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