Man mag dazu stehen, wie immer man will: mein Bundesland wird nun schwarz-rot regiert. Zu den Gebieten, um das sich alle Parteien heftigst gestritten haben, gehört die Bildungs- und Schulpolitik (unserem unseligen Bildungsföderalismus seis gedankt…).
Wo die Althaus-CDU im Wesentlichen alles in bester Butter sah, gibt es jetzt plötzlich Bewegung: Das Projekt Gemeinschaftsschule kommt auf den Weg. Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit des Projekts wogt auch und gerade durch die Lehrerzimmer, leider ist diese Diskussion allzu oft nicht frei von alten Ideologien und Vorbehalten. Ganz verwundert hör ich dann Kollegen wettern…
Worum geht es bei der Gemeinschaftsschule? Vor Ort sollen Schulen, Eltern, Schulträger und Schulamt entscheiden können, ob sie freiwillig ein Modell des längeren gemeinsamen Lernens bis Klasse 8 etablieren. Das könnte dann so aussehen, dass sich eine Grundschule, eine Regelschule und ein Gymnasium – zum Beispiel auf Betreiben der Eltern und nach gründlichen Diskussionen der Lehrerschaft – zusammentun und dieses Modell umsetzen.
Immer wieder wird die Freiwilligkeit betont – es soll um eine zusätzliche, gleichberechtigte Schulform gehen, die sich vor Ort etablieren kann.
Nun gibt es ganz sicher Grund zu Skepsis und Zweifel – entsprechende organisatorische Abläufe scheinen im Moment schwer vorstellbar, ein nüchterner Blick auf die Experimentierfreudigkeit und Offenheit des Schulamts lässt erhebliche Zweifel am Umfang der zu erwartenden Unterstützung aufkommen… Die Reihe ließe sich fortsetzen.
Völlig unverständlich erscheint mir aber das klar ideologisch gefärbte Gewetter gegen dieses Projekt, das längst vergessen geglaubtes Kampfvokabular wieder ausgräbt – da ist die Rede von Wiederaufleben der gescheiterten Gesamtschule, von “Einheitsschule”, vom “Einheitslehrer” usw. Anwürfe dieser Art kommen – wen wunderts – zuallererst aus den Reihen der Interessenvertretung von Gymnasiallehrern. Man lese die entsprechenden Einlassungen des Philologenverbandes … Natürlich könnte man zunächst diskutieren, ob das Gymnasium tatsächlich die erfolgreichste Schulform ist (es gäbe auch gute Argumente, es als die Schulform mit dem größten Beharrungsvermögen zu betrachten – als Lehrerfortbildner darf ich mir da eine Meinung erlauben) und worauf dieser Erfolg beruht (nicht unwesentlich auf dem “Abdelegieren” tatsächlich oder vermeintlich ungeeigneter Schüler). Das ist aber nicht eigentlich der Punkt: Was genau soll so schlecht daran sein, die Entscheidung zum Übertritt auf eine höhere Schulform auf einen Zeitpunkt zu verschieben, zu dem man eher von einer auch selbstbestimmten Entscheidung (also nach Klasse acht ) sprechen kann als von einer alleinigen Entscheidung der Eltern (nach Klasse vier)?
Ich habe das Privileg, neben dem Unterricht in meiner Stammschule (Gymnasium, dort vorwiegend Oberstufe – und ich arbeite dort gern und nicht ohne Engagement) auch solchen in einer Schule leisten zu können, die recht nahe an das Modell der Gemeinschaftsschule kommt: der Lobdeburgschule Jena. Dort gibt es einen eigenen Grundschulzweig, eine Regelschule – und geeignete und interessierte Schüler können nach Klasse 10 auf die dort 3-jährige Oberstufe übertreten. Genau diese Schüler unterrichte ich dort – und ich registriere erhebliche Unterschiede zwischen diesen Schülern und meiner gymnasialen Stammklientel. Sie sind nicht klüger oder dümmer – aber es ist deutlich zu spüren, dass der Übertritt auf die Oberstufe ihre persönliche Entscheidung war; dass sie mit einer gewissen persönlichen Reife getroffen wurde; dass man sich bewusst ist, dieses selbstgewählte Ziel nur mit erheblicher Anstrengungsbereitschaft erreichen zu können; dass man nicht Teil einer auch sozialen Auslese ist. Ganz erkennbar höher ist die über Jahre gemeinsamen Unterrichts gewachsene Sozialkompetenz – gut ablesbar in allen sozialen Unterrichtsformen, die hier erheblich unkomplizierter ablaufen als anderswo.
Bei allen durchaus vorhandenen Problemen – daran kann ich nichts Negatives erkennen… Ähnliche Impulse könnten auch dem typischen Gymnasium einen erheblichen Entwicklungsschub versetzen. Warum eigentlich nicht?
Ich für meinen Teil werde das Projekt Gemeinschaftsschule mit wachem Interesse verfolgen – es ist mir allemal einsichtiger als manch andere Sau, die in den letzten Jahren durch die Thüringer Schuldörfer getrieben wurde…
Zu vertiefender Lektüre empfohlen eine Sammlung von Expertenaussagen zum Thema, eine recht neutrale Darstellung des Debattenstands in der “Welt” und Überlegungen zum Unterricht in inhomogenen Gruppen.
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